Rieger, Dr. Heinrich
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Der Wiener Zahnarzt Heinrich Rieger besaß bis 1939/41 eine in dieser Form einmalige Sammlung der zeitgenössischen österreichischen Moderne, die ungefähr 800 Kunstwerke von mehr als 275 vornehmlich österreichischen Künstlern umfasste. Die Sammlung beinhaltete Ölgemälde, Zeichnungen, Aquarelle, Graphiken verschiedenster Techniken als auch Skulpturen und Plastiken.
Der am 25.12.1868 in Szered geborene Heinrich Rieger entwickelte seine Leidenschaft für das Sammeln wohl schon um die Jahrhundertwende. Allerdings sind bisher nur von wenigen Kunstwerken die Entstehungs- oder auch die Erwerbungsjahre bekannt. Anhand dieser Datenbasis könnte man schlussfolgern, dass eine Hochzeit seiner Sammlungstätigkeit in den Jahren 1917 bis 1921 stattfand. Die Sammlung jedoch wuchs auch in den nachfolgenden Jahren bis nachweislich 1937 kontinuierlich weiter. Letzter datierbarer Zuwachs ist ein „Mädchenbildnis“ von Josef Dombrowsky.
Die Sammlung umfasste unter vielen anderem Werke von Eduard Ameseder, Robin Christian Andersen, Heinrich Angeli, Tina Blau, Karl Borschke, Alfred Buchta, Hans Canon, Hugo Charlemont, Adolf Curry, Franz Anton Danreiter, Josef Dobrowsky, Carl Duxa, Albert Egger-Lienz, Jehudo Epstein, Vilma Eckl, Anton Faistauer, Peter Fendi, Joseph Floch, Johann Nepomuk Geller, Heinrich Gollob, Albert Paris Gütersloh, Viktor Hammer, Carry Hauser, Anton Hlavaček, Willi Jaeckel, Albert Janesch, Eugen Jettel, Luigi Kasimir, Isidor Kaufmann, Ferdinand Kitt, Gustav Klimt, Oskar Kokoschka, Anton Kolig, Käthe Kollwitz, Oskar Laske, Max Liebermann, Ferdinand Lorber, Max Mayrhofer, Ferdinand Michl, Koloman Moser, Franz Naumann, Willi Nowak, Max Oppenheimer, Ekke Ozlberger, Hermine Panesch, Bernhard Pankok, Sergius Pauser, Max Pechstein, Rudolf Quittner, Hans Ranzoni, Fritz Rokka-Humploletz, Hugo Ruzek, Ivo Saliger, Egon Schiele, Ferdinand Schmutzer, Lilly Steiner, Jacques Sternfeld, Josef Stoitzner, Konstatin Stoitzner, Egge Sturm-Srkla, Franz Tomaschu, Heinrich Tomec, Wilhelm Unger, Rudolf Vodicka, Hans Vohburger, Elisabeth Weber-Fülop, Franz Wiegele, Wilhelm Wodnansky, Heinrich Zita und Franz von Zülow.
Ein besonderer Schwerpunkt der Sammlung lag auf Werken von Egon Schiele, mit dem Heinrich Rieger eine persönliche Beziehung als Mäzen und Käufer pflegte. Neben bekannten Gemälden wie „Kardinal und Nonne“ (1912) oder „Die Umarmung“ (1917) beinhaltete die Sammlung neben einigen Porträts und Landschaftsmalerei vor allem Aquarelle und Handzeichnungen von Egon Schiele. 1928 waren im Rahmen einer Ausstellung des Hagenbunds und der Neuen Galerie bereits 120 Zeichnungen und Aquarelle aus der Sammlung von Schiele ausgestellt. Der Suchlauf der Rechtsanwälte in den Nachkriegsjahren ging von einer geschätzten Gesamtanzahl von 130 bis 150 Blätter aus.
Die Rekonstruktion der Sammlung fußt in großen Teilen auf verschiedenen überlieferten Listen aus den Jahren 1921, 1935, 1938 und 1947. Ein im Bundesdenkmalamt Wien hinterlegter Notariatsakt von 1921, der vor allem die Befreiung von der Nachkriegsvermögensabgabe (St.G.Bl. Nr. 371, 21.07.1920) zum Ziel hatte, beinhaltet eine erste Aufstellung der Sammlung. Die Vorgänge zur Herbstausstellung im Wiener Künstlerhaus von 1935, in der über 200 Werke der Sammlung ausgestellt waren, werden durch verschiedene Listen dokumentiert. Die letzte Hauptquelle zur Rekonstruktion ist eine der breiten Öffentlichkeit bisher unbekannte Aufstellung von Heinrich Rieger selbst, der, wenn gleich zum Teil nur kursorisch, 1938 eine letzte Aufstellung der verbleibenden Sammlung vor ihrer Zerstörung vornimmt. Die wohl zeitgleich entstandene Liste von Bruno Grimschitz, der wohl als Sachverständiger im Rahmen der Vermögensanmeldung tätig wurde, aus den Akten des Vermögensverkehrsstelle entnommen worden (Lillie 2003, S. 969) und konnte bisher nicht aufgefunden worden.
Die ab März 1938 für alle Juden einsetzenden Verfolgungsmaßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber bedeuteten auch für Dr. Heinrich Rieger und seine Ehefrau Berta eine ansteigende und andauernde Verarmung durch Zwangsabgaben, Enteignung und Verschleuderung von Besitz sowie zunehmende Isolation durch die Emigration von Familienangehörigen und Freunden. Nachdem das Ehepaar über vierzig Jahre in der Wohnung Mariahilferstraße 124 und etwas weniger im Sommerhaus in Gablitz gelebt und gewirkt hatte, musste es innerhalb der nächsten vier Jahre mindestens sieben Mal umziehen. Am 24.09.1942 wurden sie vom Jüdischen Altersheim, Zirkusgasse 3 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Heinrich Rieger starb mit 72 Jahren am 17.10.1942 im Ghetto Theresienstadt. Seine Frau Berta wurde kurz nach ihrer Deportation am 16.04.1944 in das KZ Auschwitz deportiert und nach dem Krieg für tot erklärt.
Über die Zerschlagung und den Verlust der Sammlung liegen umfangreiche Quellen vor. Heinrich Rieger verkaufte erstmals anlässlich der erzwungenen Auflösung des Hauses in Gablitz nach Beginn der rassischen Verfolgungen. In einer Erklärung gegenüber der Vermögensverwertungsstelle gab er im Januar 1939 an, Kunstwerke in Höhe von 1050 RM verkauft zu haben. Bis zum Oktober 1941 sind die Bemühungen Heinrich Riegers dokumentiert, einzelne Objekte oder Teile der Sammlung, zunächst zur Finanzierung einer erhofften Emigration und später ausschließlich zur Deckung des Lebensunterhaltes, zu verkaufen.
Der Kunsthändler Friedrich Welz, Inhaber der Galerie Welz (der „arisierten“ Galerie Würthle), kaufte ab 1939 einen Teil der Sammlung. Nach dem Krieg wurde ihm vorgeworfen, die Zwangslage des Verkäufers ausgenutzt zu haben und die Objekte zu "Schleuderpreisen" erworben zu haben. Ähnliches gilt auch für einen weiteren Kunsthändler, der ebenfalls als „Ariseur“ einer Kunsthandlung in Erscheinung trat. Luigi Kasimir war Mitinhaber der Galerie Kasimir & Edhoffer, der ehemaligen Kunsthandlung Halm & Goldmann. Auch er erwarb im März 1941 einen Teil der Sammlung. Bereits im Winter 1940 gelangten auf bisher unbekanntem Wege einige Objekte in die Kunsthandlung Margarete Grachegg, Wien 4, Mayerhofgasse 10/5. Weitere Objekte tauchten – auch hier ohne Erkenntnisse über die genauen Erwerbungsumstände – im Besitz des Wiener Kunsthändlers Benno Moser auf.
Ab 1947 wurden über 200 Objekte restituiert. Seit 2006 sind für 17 weitere Objekte Vereinbarungen geschlossen worden, nach welchen die Werke an die Erben nach Heinrich Rieger restituiert wurden oder eine Entschädigung für den Verlust geleistet wurde. Der Rest der Sammlung ist weiterhin vermisst.
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