Goldschmidt-Rothschild, Marie-Anne von (geb. Friedlaender-Fuld)
Über die Person
Marie-Anne [Marianne] von Goldschmidt-Rothschild wurde am 17.01.1892 in Berlin als einziges Kind von Friedrich „Fritz“ Victor von Friedlaender-Fuld (30.08.1858 Gleiwitz - 16.07.1917 Gut Lanke bei Bernau) und Milly Antonie von Friedlaender-Fuld, geb. Fuld (05.01.1866 Amsterdam - 28.09.1943 Cannes) geboren. Sie starb am 30.11.1973 in Paris. Die Familie galt nach einer Aufstellung von 1913 als eine der wohlhabendsten Familien in Deutschland. 1906 wurde Friedrich Friedlaender geadelt und nannte sich nach der Familie seiner Frau von nun an „von Friedlaender-Fuld“. Er ließ sich vom Architekten Ernst von Ihne 1895/96 das Palais am Pariser Platz 5a erbauen, welches Marie-Anne von Friedlaender-Fuld zu großen Teilen nach seinem Tod erbte.
In erster Ehe war Marie-Anne von Friedlaender-Fuld mit John Mitford, Sohn des Lords Redesdale (1885-1963) verheiratet. Die 1914 geschlossene Ehe wurde später für nichtig erklärt. Die zweite Ehe mit Richard von Kühlmann (1873-1948) wurde 1920 vollzogen und nach drei Jahren geschieden. Aus dieser Ehe entstammte ihre Tochter Antoinette "Nina" von Kühlmann, verh. Miness (geb. 1923). Ihre dritte Ehe schloss Marie-Anne mit Rudolf von Goldschmidt-Rothschild (1881-1962) am 28.06.1923. 1925 wurde der gemeinsame Sohn Gilbert von Goldschmidt-Rothschild geboren. Die Ehe wurde am 08.08.1938 in Berlin geschieden.
Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild, von Freunden auch „Baby“ oder „La Baronne“ genannt, war als kunstinteressierte, vermögende und attraktive Frau Projektionsfläche und Fixstern der „Berliner Gesellschaft“. Das Palais am Pariser Platz war bereits seit den Zeiten des „Salons“ ihrer Mutter Treffpunkt von Besuchern, Freunden und Bekannten unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Professionen, dem sie mit ihren Interessen neue Akzente verlieh. Sie pflegte zahlreiche, auch freundschaftliche Kontakte zu Künstlern, wie dem Schriftsteller Rainer Maria Rilke, dem Schauspieler Curt Bois und dem Maler Eugen Spiro.
Ihre Sammlung impressionistischer französischer sowie moderner Kunst enthielt Gemälde von van Gogh, Cézanne, Gauguin, Renoir, aber auch von französischen Impressionisten, wie Manet und Monet. Die Fokussierung auf moderne Gemälde, hauptsächlich französischer Provenienz, unterschied sich in starkem Gegensatz zu den „klassischen“ Sammlungen ihres Milieus - zumal von Sammlerinnen - die einen Schwerpunkt auf Kunstobjekte des 18. Jahrhunderts, insbesondere Möbel, Porzellan und Textilien legten.
Der Großteil der persönlichen Sammlung von Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild konnte vor einer Beschlagnahme durch die Nationalsozialisten - zumindest in Berlin - durch das Anfertigen von Duplikaten, die später im Palais am Pariser Platz zur Irreführung der national¬sozialistischen Behörden aufgehängt worden sein sollen, gerettet werden. Der Hinweis, dass Teile ihrer Sammlung bei Cassirer-Helbing (resp. Helbing) versteigert wurden, konnte für die Zeit nach 1933 bisher nicht verifiziert werden.
1938 zog Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild, die ab 1933, vor allem aus Sicherheitsinteressen, andere Wohnadressen bevorzugte, endgültig aus dem Palais am Pariser Platz 5a aus. Das Palais, welches auch die Sammlung ihrer Mutter Milly Antonie von Friedlaender-Fuld enthielt (vgl. eigenen Beitrag), wurde geräumt. Die Berliner Kunsthändler Hans W. Lange und Ferdinand Knapp sollen bisher nicht identifizierbare und "nicht unbeträchtliche Teile bei einer Versteigerung des Gutes" erworben haben, wobei undeutlich bleibt, ob damit eine Auktion oder gar Beschlagnahme im Berliner Palais gemeint ist und ob sich um den Besitz von Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild oder den ihrer Mutter handelte. In der Zeit vor Oktober 1938 emigrierte Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild. Ihre polizeiliche Abmeldung erfolgte im Oktober 1938, als sie bereits nicht mehr in Deutschland weilte. Die ihr und ihrer Mutter gehörigen Grundstücke am Pariser Platz wurden nach Androhung einer Enteignung im August resp. September 1939 an den Generaldirektor für das deutsche Straßenwesen Albert Speer für das Deutsche Reich zwangsverkauft.
Nach ihrer erzwungenen Emigration lebte Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild in ihren - bereits in den zwanziger Jahren erworbenen - Wohnstätten 33 Rue de la Faisanderie in Paris und dem Sommersitz “Le Vaisseau” in Südfrankreich. Auf ihr Vermögen in Deutschland hatte sie zu diesem Zeitpunkt keinen Zugriff mehr. Ab 1939 verkaufte sie einige Gemälde in Frankreich und später in den USA. Ob es sich hierbei um sogenanntes "Fluchtgut" handelte, ist noch Gegenstand weiterer Recherchen. Im Mai 1940 floh sie mit ihren Kindern und dem Großteil ihrer Kunstsammlung aus Paris in Richtung Süden zunächst nach Estoril in Portugal. Nach dem Krieg machte Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild gegenüber den französischen Behörden Angaben zu Kulturgutverlusten in ihrer Wohnung in Paris, darunter Zeichnungen und Aquarelle von Auguste Rodin, Marie Laurencin und Gemälde von Raoul Dufy, Maurice de Vlaminck und Eugen Spiro.
Am 9. August 1940 gelang es Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild mit ihren Kindern Lissabon auf dem Schiff nach Veracruz, Mexiko zu verlassen. Ihre Kinder erreichten im September 1940 die USA, Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild und die ihr verbliebenen Teile der Kunstsammlung zwanzig Tage später.
Ausgewählte Quellen
• Anne-Carolin Augustin: Berliner Kunstmatronage. Sammlerinnen und Förderinnen bildender Kunst um 1900. Göttingen 2018. (Milly von Friedlaender-Fuld) S.124-131; (von Goldschmidt-Rothschild) S.259- 271.
• Anonym: Fastnacht im Hause Rudolf von Goldschmidt-Rothschild. In: Sport im Bild. (1930)6, S.25-27.
• D - BArch, B 323/424, Treuhandverwaltung von Kulturgut bei der Oberfinanzdirektion München, Restitutionsanträge aus Frankreich, Bearbeitung von Einzelfällen (Eigentümer/Antragsteller A-Z), Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild, früher Berlin
• D - BArch, B 323/370, Treuhandverwaltung von Kulturgut bei der Oberfinanzdirektion München, Rück- und Freigabe von Kunstwerken; Rückerstattungs- und Wiedergutmachungsverfahren, Marie-Anne von Goldschmidt-Rothschild, Max von Goldschmidt-Rothschild, Rudolf von Goldschmidt-Rothschild
• D - BADV, Finanzamt Moabit-West, 906 II 59, Friedlaender-Fuld, Milly von
• D - BADV, Finanzamt Moabit-West, 907 II 380, Goldschmidt-Rothschild, Marie-Anne von
• D - BADV, Reichs-Vermögensteuerakte, 109/1252, Goldschmidt-Rothschild, Marie Anne von
• D - BADV, 21 WGA 289/51, Goldschmidt-Rothschild, Marie Anne von, 5 Waggons Kunstgegenstände
• D - BADV, 21 WGA 290/51, Goldschmidt-Rothschild, Marie Anne von, Verlust von Einrichtungsgegenständen.
• D - BADV, 2 WGA 6863/59, Goldschmidt-Rothschild, Marie Anne von, Umzugsgut
• D - BADV, 2 WGA 10230/59, Goldschmidt-Rothschild, Marie Anne von, Kaufpreisforderung Pariser Platz
• D - LAB, B Rep. 025-02, Nr. 934/55. Marie-Anne Baronin von Goldschmidt-Rothschild, geb. von Friedlaender-Fuld (*17.01.1892), 31 Rue de la Faisanderie, Paris 16 gegen das Deutsche Reich. Milly von Friedlaender-Fuld, geb. Fuld (Mutter), verwitwet. Einrichtungsgegenstände aus dem schlossähnlichen Haus Pariser Platz 5a-6, Berlin.
• D - LAB, B Rep. 025-02, Nr. 1044/51. Marie-Anne Baronin von Goldschmidt-Rothschild, geb. von Friedlaender-Fuld (*17.01.1892), 31 Rue de la Faisanderie, Paris 16 gegen Ferdinand Knapp. Einrichtungsgegenstände, die von Herrn Knapp ersteigert worden sind.
• D - LAB, B Rep. 025-02, Nr. 10230/59. Marie-Anne Baronin von Goldschmidt-Rothschild, geb. von Friedlaender-Fuld (betr. Grundstück Pariser Platz).
• D - LAB, Heiratsregister der Berliner Standesämter 1874 - 1920. (ancestry.de)
• Fotografie Frau Marie Anne von Kühlmann geb. von Friedländer-Fuld. In: Wiener Salonblatt. 52(1921)13, S.4.
• D - SMB-ZA, IV/NL Bode 1915, Friedlaender-Fuld, Fritz von
• D - SMB-ZA, IV/NL Bode 1916, Friedlaender-Fuld, Milly von
• Christel H. Force: Rolled Canvases Across Borders. The Collection of Marianne de Goldschmidt-Rothschild. Unter doi.org/10.11588/artdok.00007517.
• FR - MAE, Ministère des Affaires étrangères, 209 USUP, Services français de récupération artistique, CRA Dossier 46.451.1475, Madame von Goldschmidt-Rothschild, Paris
• Gilbert, Marianne: Le tiroir entr'ouvert. Paris 1956.
• Veronica Grodzinski: French impressionism and German Jews - the making of modernist art collectors and art collections in imperial Germany 1896-1914. London 2005. S.222.
• Harry Graf Kessler: Das Tagebuch 1880-1937. Stuttgart 2010.
• Werner Menzendorf: Reitsport. Ein Bildband 1900-1972. Berlin Hamburg 1972. S.31.
• Der Querschnitt. 7(1927)4; 9(1929)5.
• Christina Tillmann: Mein Cousin Balthus. Peter Spiro erinnert an seinen Vater, den Maler Eugen Spiro - und an eine Berliner Kindheit in den Zwanzigern. In: Tagesspiegel. 01.01.2011. Unter www.tagesspiegel.de/kultur/mein-cousin-balthus/3686106.html
• US - AAA, Jaques Seligmann & Co. Records, General Correspondence de Goldschmidt-Rothschild, Mrs. R. 1940-1961, Box 29, Folder 16.
• Rudolf Vierhaus (Hrsg.): Deutsche biographische Enzyklopädie. Band 3, Einstein-Görner. München 2006.
• Wilko von Abercron: Eugen Spiro. 1874 Breslau-1972 New York. Spiegel seines Jahrhunderts. Alsbach 1993.
• fr.wikipedia.org/wiki/Gilbert_de_Goldschmidt
• de.wikipedia.org/wiki/Marie-Anne_von_Goldschmidt-Rothschild
• www.beatricevierneisel.de
• www.errproject.org
• www.eugen-spiro.de/
Esther Sabelus